Buchvorstellung „Unterleuten“ von Juli Zeh

Juli Zeh und Ihr Roman "Unterleuten"

Es war im Frühsommer 2008, als bei einem Abendessen in Ingolstadt, welches der Unternehmensberater Konrad Meiler für seine besten Geschäftsfreunde ausgerichtet hatte, die Bemerkung fiel, dass ein Quadratmeter Land im Umkreis von Berlin nicht mehr kostet als ein Vitalbrötchen beim Bäcker. Man verabredete sich darauf hin zum Besuch einer Versteigerung, weniger aus Interesse am Besitz, sondern aus Faszination am Schlussverkauf von Grundeigentum. Es wurde dann auch aus Spaß und Laune geboten, was das Zeug hielt. Als die Grenze von zwei Millionen überschritten war, engte sich der Kreis der Interessenten ein und aus den hinteren Reihen meldete sich ein älterer Herr. Bieten wollte er nicht, aber widersprechen.

Die fröhlichen Aktionäre kümmerte das wenig. Der Hammer senkte sich erneut. Das Gebot lag bei 2,5 Millionen und Konrad Meiler erhielt den Zuschlag.

Der Alte nahm seinen Stock und wandte sich dem Ausgang zu. Sein Gang war unregelmäßig und schleppend, verursacht durch ein verletztes Knie. War es ein Unfall, war es das Alter? Zusammen mit dem Klicken des Krückstocks erinnerten seine Schritte entfernt an den Rhythmus eines Walzers. Der Tanz um die Grundstücke rund um Unterleuten hatte begonnen.

Krückstock und schleppender Gang gehören zu Kron, einst Brigadeführer der LPG „Gute Hoffnung“, die sich jetzt GmbH „Ökologica“ nennt und als größter Arbeitgeber der Region, auf 900 Hektar Land, ihrem Namen gemäß, Öko-Weizen und Bio-Milch produziert. Der Wert der Grundstücke eines Teils ihrer Felder und Wiesen hatte sich gerade mittels Auktionshammer in astronomische Höhe begeben, so dass der Betrieb in absehbarer Zeit Mühe haben wird, die Pacht zu bezahlen.

Den Rentner Kron, selbst Eigentümer eines kleinen Waldstreifens, kümmerte das wenig. Er hatte es vorausgesehen. Denn Rudolf Gombrowski, einst Vorsitzender der LPG, führt nun auch die Geschäfte der „Ökologica“. Sein schönes neues Anwesen, gedeckt mit knallblauen Ziegeln prangte in der Mitte des Dorfes. Noch vor einem halben Jahrhundert hatten seiner Familie jene 900 Hektar gehört, bis ein Feuer den Erbhof verwüstete. Junkernland in Bauernhand! Damals hatten sich der 20jährige Häuslersohn und der 13jährige Rudolf, der gerade um sein Zuhause und sein Erbe gebracht worden war, zum ersten Mal als erbitterte Feinde gegenüber gestanden. Und daran sollte sich bis zum heutigen Tag nichts ändern.

Es geschah noch im Hochsommer des selben Jahres, als sich eine Investmentfirma für Windkraftanlagen ermächtigt fühlte, ausgehend von einem Beschluss der Landesregierung, einen Windpark in gerade dieser Gegend zu errichten. Die Verlockung für das Dorf, vertreten durch den Bürgermeister Arne Seidel ist hoch. Durch die gewonnene Gewerbesteuer könnte man Haushaltslöcher stopfen, die sich nicht länger hin-und-herschieben lassen wollen und es bliebe vielleicht auch noch der eine oder andere Euro übrig. Auch blieb dem Eigentümer, auf dessen Grundstück die Kraftwerke errichtet werden, eine hübsche Summe Pachtzins. Für die Auswahl der begünstigten Ländereien ist die optimale Windrichtung entscheidend. Außerdem müssen Vorschriften eingehalten werden. Nur wenige Grundstücke kommen in Frage. Krons Streifen Land ist dabei, auch Gombrowski besitzt ein Stück der begehrten Fläche und natürlich ist Konrad Meiler, der neue König der Region, beteiligt. Doch der Besitz des Einzelnen im Eignungsgebiet ist zu klein. Man kann das alles ignorieren, aber man kann auch kaufen, mit Gewinn abstoßen und aufs Neue investieren. Die Begehrlichkeiten richten sich sehr bald auf ein paar Hektar, die einem jungen Paar gehören, welches vor kurzem aus Berlin in den Ort gezogen war.

Das Auktionsspiel geht in die nächste Runde. Es wird gepokert auf Leben und Tod und Pokerface gewinnt.

Gombrowski ist es nicht.